Zeitgeschichte zum sehen, hören, anfassen

Ein Besuch in der Martin-Luther-Gedächtniskirche

Zeitgeschichte zum sehen, hören, anfassen

Am 1.9. und 9.9. unternahmen die Klassen eine Exkursion zur Martin-Luther-Gedächtniskirche. Für die Exkursion kooperierten die Fächer Religion und Geschichte, da die Kirche ein besonderes Denkmal aus der Zeit des Nationalsozialismus ist. Das schwierige Verhältnis zwischen den Kirchen und dem Nationalsozialismus ist in dem Bau aus dem Jahre 1935 Stein geworden und lädt zur Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der Geschichte ein. Daneben ist der Kirchenbesuch für Schüler*innen aber auch immer wieder ein Erlebnis, das auch dazu anregt, unterschiedliche Kirchenräume bewusst wahrzunehmen.

„Während ich den Weg zum Altar hinunterschreite, wird mein Blick wie von selbst auf das Kruzifix gelenkt. Hoch ragt das Kreuz hinein in den Raum, beschienen von einzelnen Sonnenstrahlen. Die bunten Fenster gewähren ihnen Einlass, lassen ihre Bahn zum Körper Jesu führen. Gerade seine Gestalt lässt mich innehalten, konfrontiert mit einer Darstellung, die ich so noch nie erblickt habe. Denn wo in anderen Kirchen ein leidender Christus in Holz gebannt ist, zeigt diese keine Spur vom Schmerz des Kreuzes. Die stählerne Figur strahlt hell im Licht, der Körper muskulös, die Brust nach vorne gestreckt. Es scheint, als würde er die Nägel gar nicht spüren, die seine Haut durchbohren, als würde der nahende Tod ihn in mit schierer Kraft erfüllen. Ich konnte mich dieser Darstellungsweise nicht annehmen, zu unnahbar wirkte dieser Mensch, der Jesus zeigen sollte. Gerade die Neigung des Hauptes ist doch jene Geste, die uns Demut vor der Szenerie empfinden lässt. Die Darstellung vor meinen Augen spricht jedoch eine ganz andere Botschaft aus. Jesus, der Superheld, Jesus, der Übermensch, scheint sie zu schreien. Dass das leidende Bild Gottes von den Nationalsozialisten bewusst ignoriert wurde, um selbst Christus zu ideologisieren, erfüllt mich mit Trauer und Wut zugleich. Und doch finde ich es richtig und wichtig, dass die Gemeinde es auf dem Altar stehen lässt, dem

Besuchenden die Möglichkeit gibt, seinen Gefühlen nachzuspüren, zu reflektieren, was hinter dieser Darstellung steht.“

Jasmina J., Klasse 10a

„Als ich in die Kirche reinkam hatte ich ein recht normales Gefühl in der Kirche. Ich war in vielen Kirchen, vor allem katholischen Kirchen in Polen. Sie war sehr ähnlich zu den bisherigen. Aber als die Geschichten und Historie von der Kirche erzählt wurden, wurde mir klar, worin ich stehe. Die kleinen Details, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammten, stachen besonders raus. Sehr schön fand ich auch, dass die Kirche als Merkmal benutzt wird und Materialien wie damalige Bilder, entstandene Bilder oder sogar Teile der Kirche bewahrt wurden. Man hat durch die Geschichte und die aufbewahrten Stücke ein ganz anderes Gefühl bekommen. Als die Schüler dann nach oben gingen und die Orgel angefangen hat zu spielen, fand ich das sehr entspannend, um ehrlich zu sein. Ich konnte ich aber nicht wirklich in einen Gottesdienst wie damals versetzen

und ob diese wie heutzutage durchgeführt wurden oder abgeändert wurden. Was ich mich auch frage, ob die Gottesdienste dann auch streng unter NS-Aufsicht stattfanden und ob man irgendwelche NS Lieder gesungen hat, der Hitlergruß gemacht wurde oder ähnliches, was man mit dem Nationalsozialismus verbindet. Im Allgemeinen war der Ausflug gut und interessant. Ich habe sehr viel mitbekommen und es wurde sehr gut erklärt, wie alles zustande kam und was abgeändert wurde.“

Pawel P., Klasse 10b

„Als wir die Kirche betraten, legte sich über mich – und ich denke auch über die anderen – eine gewisse Beklommenheit. Betroffenheit, der Geschichte wegen, aber auch eine gewisse Ehrfurcht, die ich eher auf das große, prächtige Gebäude zurückführe. Die Kirche wirkt auf den ersten Blick wie jede andere, bei genauerem Hinsehen entdeckte man jedoch Überbleibsel der NS-Zeit, wie die Eisernen Kreuze, die Wehrmachtssoldaten und SA- Mitglieder als steinerne Gesichter an den Wänden, sowie die Maske des Reichspräsidenten Hindenburg im Eingangsbereich. Der Mann, der unsere Führung leitete, hat uns sehr gut über die Geschichte der Kirche aufgeklärt, gerade so ausführlich, dass man viel lernte und es nicht langweilig wurde. Dabei wechselte er von einem Thema zum anderen, zwischen Architektur und Geschichte. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Geschichte eines Mannes [gemeint ist Jochen Klepper], die er uns erzählte. Dieser war während der NS-Zeit Mitglied in der Kirchengemeinschaft dieser Kirche gewesen und habe eine jüdische Frau geheiratet, die dann zum Christentum konvertierte. Doch der Druck des Regimes stieg und die Verfolgung und Diskriminierung wurde immer radikaler und brutaler. So beschlossen die beiden schließlich, sich daspage2image38616512page2image38610896

Der andächtige Mann am Taufbecken ist an seiner Uniform als Mitglied der SA, einer nationalsozialistischen paramilitärischen Parteiorganisation, zu erkennen.

Leben zu nehmen. Nach der Führung durften wir uns noch selbst in der Kirche umschauen. Besonders interessant

und eindrucksvoll fand ich hierbei die Reihe der Bilder mit dem Titel ‚Ausschwitz‘. Diese zeigten verschiedene Szenen aus dem Konzentrationslager, die selbst aus mehreren Fotographien zusammengesetzt sind.“

Simon R., Klasse 10a

„Mir hat der Ausflug sehr gut gefallen. Ich fand, dass es eine gute Idee war zu dieser Gedächtniskirche zu fahren. Man hat viele Interessantes gesehen und ich konnte Neues dazu lernen. Am meisten habe ich mich bei den Bildern an der Wand zum Nationalsozialismus aufgehalten. Als ich mir die Bilder angesehen habe, kam ein großes Interesse in mir auf. Man hat auf den Bildern die Sammlung der Schuhe der Toten gesehen. Ebenfalls hat man auf mehreren Bildern Leichen

In seinem Bilderzyklus „Auschwitz“ kombiniert der polnische Künstler Pawel Warchol historische Fotografien aus dem nationalsozialistischen Vernichtungslager mit Zeichnungen. (Rechts oben spiegeln sich die bunten Fenster der Kirche im Glas, das das Kunstwerk schützt.)

gesehen, an denen man erkennen konnte, wie abgemagert die Menschen damals waren. Außerdem kam aber vor allen Trauer in mir auf und ich hatte ein wenig Druck in mir, weil es mich immer erschüttert zu sehen, was die Menschen der damaligen Zeit durchmachen musste und wie „schlecht“ sie aussahen. Durch die Bilder konnte ich das alles noch einmal besser aufnehmen und verinnerlichen, daher finde ich, dass die Bilder eine gute Idee sind dort als Erinnerung aufzubewahren und zu zeigen.“ 

Janice J., Klasse 10bpage3image38619792

Die Terrakottaplatten am Triumphbogen, der die Wand am Altarraum schmückt, zeigen christliche Symbole (wie z.B. das Kreuz), neutrale Darstellungen (wie z.B. musizierende Kinder) und nationalsozialistische Symbole, die nach dem Krieg entfernt wurden (z.B. den Reichadler mit dem Hakenkreuz im Kranz ins einen Fängen)

„Als wir von dem Ausflug erfuhren, war ich erstmal ein wenig skeptisch. Was soll an dieser Kirche bloß so besonders sein? Warum nicht einfach zur Kirche in unserer Nähe gehen? Als wir dann ankamen und den großen Raum mit seinen vielen Details betraten, wurde mir schnell klar, warum wir genau diese Kirche besuchten. Der Nationalsozialismus hatte sich definitiv in diese Kirche eingebracht. Allein die einzelnen Steinplatten an der Wand und die Gemälde am Eingang verrieten mir, wie viel die Kirche mit der damaligen Herrschaft der Nazis zu tun hatte. Durch den Vortrag des Herren, welcher uns begleitete, hatte man einen guten Einblick in die Geschichte hinter der Fassade. Wirklich erschrocken war ich dann allerdings, als ich näher auf die Gemälde zuging. Sie hatten viel mehr Details als eigentlich erwartet und was man dort erkennen konnte war angsteinflößend. Es tat mir wirklich weh, diese schrecklichen Momente vor Augen zu haben. Die Bilder an sich aber verleihen einen sehr guten Einblick in diese Zeit und dass sie dort hängen, finde ich gut, da man nicht wegschauen, sondern genauer hinsehen sollte. Die Kirche an sich war wirklich schön und es war mal eine etwas andere Erfahrung, als bei einem ganz normalen Schulausflug.“

Sirin Ö., Klasse 10a

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